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Schlagmann eine Buchbesprechung

von Goede, Wolfgang
in Rudern.

Vor zehn Jahren, am 10. November 2009, warf sich der Torwart Robert Enke vor einen Zug. Sein Tod schlug Wellen und warf die Frage auf, wie der Sport mit Depressionen umgeht. Andere Tote hingegen wurden schnell vergessen, wie etwa den Ruderer Bahne Rabe. Ihm widmete die Sportjournalistin Evi Simeoni den Roman „Schlagmann“. Das offizielle Magazin des Deutschen Ruderverbands DRV „Rudersport“ erinnerte unlängst an das bereits 2012 erschienene Werk (Klett-Cotta, 3. Auflage) und dokumentierte den Buchauszug mit Originalfotos aus Rabes Aktivenzeit. „Es ist ein Roman, der so dicht an der Wirklichkeit geschrieben ist, dass alles wahr zu sein scheint“, heißt es im Rudersport-Vorspann. Er beschreibe das Leben des Olympiasiegers Bahne Rabe alias Arne Hansen und: „Der Erfolg hat ihn zerstört.“ Höhepunkt seiner Ruderkarriere war das olympische Rennen 1988 in Seoul, bei dem sein Achter Gold gewann. Der Schlagmann verstarb 2001 im Alter von 37 Jahren. Funktionäre, Fans wie auch Aktive selbst wollen es immer noch kaum wahrhaben: Auch Sportler sind vor Depressionserkrankungen und Suizid nicht gefeit, ist der Sport manchmal sogar Auslöser?

Schlagmann im Deutschlandachter. Und Olympiasieger darin. Der Traum schlechthin—nicht nur vieler Ruderinnen und Ruderer. Doch dieser tragische Held geht daran zugrunde. Arne Hansen hungert sich zu Tode. Jahrelang begleiten seine Kameraden – stellvertretend für sie bei der Buchlektüre die Leserinnen und Leser – sein Sterben. Ohnmächtig und schicksalsergeben. Ohne daran etwas ändern zu können?

Der preisgekrönte Roman der Sportjournalistin Evi Simeoni ist beklemmend. Er basiert auf einer wahren Begebenheit aus dem Rudersport, den sie künstlerisch-fiktiv ausgestaltet hat. Die Schönheit und Erhabenheit des Ruderns, von der Autorin hervorragend beobachtet und in packende Worte gekleidet, mischen sich mit der Grausamkeit des Leistungssports, den Seelenqualen seiner Akteure.

Ja, Sport kann (Selbst-)Mord sein.

Dieses Buch jongliert virtuos mit unterschiedlichen Themen. Was ist ein guter Schlagmann? Eine Art Diktator, bei dem alle Ruderer mitmüssen, der sich mit seiner Stärke und taktischen Finessen immer wieder erneut den Respekt, die Verehrung und Hingabe seiner Mannschaft verdient—aber all den Frust über seine Verantwortung, Niederlagen, selbstherrliche Trainerentscheidungen in sich hineinfrisst?

Wozu hetzt der Mensch mit solch enormer Besessenheit, blind wie ein Jagdhund, von einem Pawlowschen Reflex getrieben sportlichen Trophäen hinterher? Werden junge Menschen dazu nicht verführt, von Trainern und Managern, die wiederum von finanziellen, nationalen Interessen und Machtpolitik gesteuert werden? Die Athleten – naive Schachfiguren und Marionetten übermächtiger Akteure?

Gut möglich, dass der Sport nicht Rampensäue, sondern auch sozial und psychisch schwache, womöglich gestörte Menschen anzieht, vielleicht sogar gebiert, die hier eine Art Gladiatorenmentalität ausleben. Beim Ruderduell, zu dem Arne seinen besten Ruderfreund fordert, in einer Shakespearschen Sein- oder Nicht-Sein-Entscheidung, läuft es einem eiskalt den Rücken hinunter.

Bei dem introvertiert-schrullig-verklemmten Arne Hansen sind wir uns bis zum Schlusspunkt nicht klar, was diese menschliche Hochleistungs- und Zerstörungsmaschine ticken lässt. Kompensation für fehlende Liebe? Ein Autist? Jemand, der sich, statt mit einer Rasierklinge zu ritzen, um endlich etwas zu empfinden, lieber auf dem Rollsitz abschuftet? Es ist zu vermuten, dass die Autorin ihren Arne nicht verstanden hat, aus dramaturgischer Sicht nicht verstehen wollte, und stellvertretend für sie 99,9 Prozent der Menschen.

Am Ende sind seine Begleiter viel hilfloser als der untergehende Held selbst, der mit äußerster Konsequenz seinen Weg geht, als gelte es erneut, eine Goldmedaille zu gewinnen. Seine Ruderkameraden tragen den zum Skelett abgemagerten Toten zu Grabe.

https://www.klett-cotta.de/buch/Gegenwartsliteratur/Schlagmann/26883